Psychoaktive Pflanzen: Was "knallt", macht wach, steigert sexuelle Lust oder Potenz? - n-tv.de

2022-11-15 15:56:17 By : Ms. Judy Gu

Wie Welt der psychoaktiven Pflanzen ist schier unüberschaubar groß.

Schlafmohn und Cannabis - ok. Aber Salbei und Safran? Das irre bunte Buch "Kat Menschiks und des Psychiaters Doctor medicinae Jakob Hein Illustrirtes Kompendium der psychoaktiven Pflanzen" hat nicht nur einen Titel, von dem einem schwindlig werden könnte, es hält auch Überraschendes zu unserem Gewürzregal bereit.

Können Pflanzen böse sein? Wäre es nach Jakob Hein gegangen, hätte sich das vorliegende Buch ausschließlich fiese Pflanzen wie Brennnesseln vorgenommen, mit denen er sich gerade rumgeärgert hatte - zumindest war das die Idee, mit der im Hinterkopf er die Illustratorin Kat Menschik in ihrem Garten besuchte. (Denn, wie er bei der Buchvorstellung auf Radioeins zugab, er war neidisch auf das großartige "Tierbuch" von Menschik mit Mark Benecke und wollte auch unbedingt eins mit ihr zusammen rausbringen.)

Mit dem Pflanzen-Bashing konnte Hein bei Menschik aber nicht landen - die begeisterte Gärtnerin liebt alle Pflanzen gleichermaßen. Und Tomaten ganz besonders - erst kürzlich ist ihr "Tomatenbuch" erschienen. Und vor einigen Jahren ihr Gartenbuch "Der goldene Grubber". Auf ein Buch über psychoaktive Pflanzen konnten sie sich jedoch schnell einigen. Da Jakob Hein nicht nur Autor ist, sondern auch Psychiater, konnte er da fachlich einiges beitragen.

Er merkte bei der Recherche schnell, wie unüberschaubar groß die Menge an Pflanzen ist, die man als psychoaktiv bezeichnen kann. Denn der Mensch hat schon immer und überall alles ausprobiert und sich auf alle erdenklichen Arten und Weisen in einen Rausch oder andere Zustände versetzt - Pflanzenteile wurden gekocht, zerrieben, vergoren oder sonst wie behandelt und dann gegessen, getrunken, ausgezutscht, geschnieft und wie man sich sonst noch Substanzen reinziehen kann.

Die Elfen- oder Sockenblume, botanisch Epimedium, wird im Englischen Feenflügel oder Kraut der geilen Ziege genannt.

(Foto: picture-alliance / OKAPIA KG, Germany)

Und warum? Weil es "knallt", wach macht oder benommen, die sexuelle Lust oder die Potenz steigert, aufputscht oder beruhigt, die Wahrnehmung verändert oder in komplett andere Bewusstseinszustände entführt. Manche Gewächse wirken sogar bei Tieren - die im Deutschen Elfen- oder Sockenblume genannte Pflanze heißt zumindest im Englischen horny goat weed, Kraut der geilen Ziege. Sie enthält Icariin, das stimulierend wirken soll.

Aus dieser großen Fülle hat Hein eine kleine bunte Auswahl getroffen und die "üblichen Verdächtigen" wie etwa Cannabis allenfalls am Rande erwähnt. Zwar kommen auch die Alltagsdrogen Alkohol (aus allen möglichen Pflanzen) und Tabak vor und das bekannte Absinth, die "grüne Fee", aber er hat eher die Pflanzen ausgewählt, die man in der Reihe nicht erwartet, deren psychoaktive Wirkungen die Nicht-Experten überraschen. Man darf also keine lexikalische Vollständigkeit erwarten in dem kleinen Büchlein - sonst könnte man Bände damit füllen.

So haben es zwar "Die Blumen des Bösen" von Charles Baudelaire ("Les Fleurs du Mal") dennoch ins Buch geschafft, aber in dessen Gedichten geht es gar nicht wirklich um Pflanzen, sondern um "eine Welt ohne Gott und ohne Hoffnung". Im wahren Wortsinn aber, so Hein, könnte man leicht einen Blumenstrauß zusammenstellen, der von betörender Schönheit und zugleich voller tödlicher Gifte sei: angefangen vom so harmlos klingenden Alpenveilchen über Goldlack bis zum Waldglöckchen. Böse Blumen also dann doch irgendwie.

Auch der heimische Gewürzschrank gibt einiges her, mit dem man nicht nur Speisen schmackhafter und interessanter machen, sondern auch die Psyche beeinflussen kann - Salbei etwa, der zu Halluzinationen führen kann, oder Muskat, Safran - oder scharfe Paprika, Chili: Ist viel Capsaicin enthalten, kann das zum "Pepper high" führen, einer Art Chili-Trip. Wie immer macht die Dosis das Gift - was in der einen Menge würzt oder auch als Medikament heilt, kann in der anderen Menge schon deutlich auf die Psyche wirken. Wobei Jakob Hein bei einigen Pflanzen eher die Erwartungen dämpft: Manches sei auch Einbildung oder es trete einfach nur die Wirkung ein, die man erwartet: "Niemand konsumiert drei ganze Muskatnüsse, um hinterher nichts zu spüren, also begrüßt man erfreut die einsetzende Wirkung als den erhofften Rausch."

"Wenn der Text ernüchtert", so Hein bei der Buchvorstellung, "machen einen die Bilder der Pflanzen high" - denn Kat Menschik hat bei der Illustration so ziemlich gegen jede Regel verstoßen, wie sie sagte: Die grellbunten Grafiken in sechs Echtfarben, die dann Mischfarben ergeben, ergießen sich wild über die Seiten, teilweise sogar über den Text; sie gehören auch nicht unbedingt immer zu der Pflanze, um die es auf der jeweiligen Seite geht. Also auch hier: überhaupt nicht lexikalisch. Und wo es im Tierbuch mit Mark Benecke sehr schwarz zuging, kommt hier überhaupt kein Schwarz vor, das war Menschik wichtig: selbst die Buchstaben sind lila.

"Mehr ist mehr" ist also - bei aller textlichen Kurzfassung - zumindest grafisch das Motto von "Kat Menschiks und des Psychiaters Doctor medicinae Jakob Hein Illustrirtes Kompendium der psychoaktiven Pflanzen". Es gehört zu den "Lieblingsbüchern", die im Galiani-Verlag erscheinen - eine Reihe kleinformatiger Bände, von Menschik illustriert, aufwendig gestaltet, ausnehmend schön.

Dazu zählen unter anderem Volker Kutschers "Moabit" und "Mitte" aus dem "Babylon Berlin"-Umfeld oder die oben erwähnten "Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben" und "Tomaten". Jedes für sich ein kleiner optischer Rausch, garantiert ohne Kater danach.

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 06. November 2022 erstmals veröffentlicht.)