Diese Männer verdienen mit Möbeln aus Obstkisten ihr Geld - Hamburger Abendblatt

2022-11-15 16:38:38 By : Ms. Anne Wong

Obstkisten bis unter die Decke: Benjamin Maxin (links) und Thies Rehder von der Firma Kistenkolli Altes Land machen daraus Möbel

Junge Unternehmer im Alten Land verwerten alte Behälter der Apfelbauern. Woher die Kisten wirklich kommen und wer sie gern kauft.

Buxtehude.  Aneta Raducka setzt die Flamme zielgerichtet ein. Ein paar Handbewegungen, und die Obstkisten sind geflammt. Nur leichte „Brand­spuren“ darf der Brenner hinterlassen. Dunkle Wellenlinien zieren dann die Kiste. Raducka hat den Dreh raus, wie sie mit der Flamme für eine neue Gestaltung sorgt. Die Kisten, die sie gerade bearbeitet, sind sehr schmal und dienen den Kunden meistens als Gewürzregal.

„Geflammt ist gefragt“, sagt Benjamin Maxin, der mit seinem Kumpel Thies Rehder die Firma Kistenkolli Altes Land betreibt. Eine große Lagerhalle in Buxtehude ist inzwischen ihr dritter Standort. „Wir mussten uns vergrößern“, sagt Maxin. Bald will er im Buxtehuder Gewerbegebiet eine doppelt so große Halle mit seinen sieben Mitarbeitern beziehen.

Möbel aus Obstkisten sind gefragt. Die beiden Jungunternehmen nutzen sie auch in ihrem Büro. „Wir verschicken täglich bis zu 400 Pakete“, sagt Maxin. Rund 150 verschiedene Produkte werden inzwischen angeboten: von der einfachen gebrauchten Obstkiste, die sich die Kunden selbst gestalten, bis zum großen Tisch aus vier Obstkisten. Dazu jede Menge Regalvarianten aus Obstkisten für Weinflaschen, Schuhe oder Bücher. 95 Prozent der Bestellungen kommen über die Internetseite, aber inzwischen erschließen die beiden auch den stationären Handel. Mit dem Hagebaumarkt ist ein erster Handelspartner gewonnen.

Wer das Lager betritt, sieht nur Kisten bis unter die Decke gestapelt. „Alles, was mit Kisten zu tun hat, läuft gut“, sagt Rehder. Deshalb haben die beiden Unternehmer auch andere Kisten im Angebot. „Das Problem ist, dass man immer gleich eine ganze Lkw-Ladung abnehmen muss“, sagt Rehder. Bei den ersten alten Munitionskisten hatten sie deshalb noch etwas Bauchschmerzen. Inzwischen wissen sie, dass Munitionskisten besonders gut laufen. Ebenfalls gefragt sind Teekisten. „Wir haben einen Teeimporteur im Hamburger Hafen, der sich die Ware extra noch in Kisten liefern lässt, weil wir sie ihm abnehmen“, sagt Rehder.

Die beiden Unternehmer sind jeweils auf einem Obsthof im Alten Land groß geworden. Als Maxin die ersten alten Obstkisten bei Ebay zum Verkauf anbot, ahnte er nicht, dass er damit den Grundstock für ein Unternehmen legen würde. Die Kisten waren schnell verkauft, die Nachfrage entdeckt. Sein Vater hatte seinen Obsthof aufgegeben, die kleinen Obstkisten wurden schon seit Anfang der 90er-Jahre nicht mehr genutzt. Die Äpfel kommen jetzt in große Behältnisse, die von einem Gabelstapler bewegt werden müssen. Für Nachschub war zunächst gesorgt.

Die Konkurrenz von Kistenkolli ist nicht weit. Nur 20 Kilometer von Buxtehude entfernt, in Grünendeich, hat die Vintage-Möbel24 GmbH ihren Sitz. Die Entstehungsgeschichte ist ähnlich wie bei Kistenkolli. Unternehmensgründer Florian zum Felde kommt ebenfalls von einem Obsthof und verkaufte die alten Obstkisten seiner Eltern über das Internet. Weil der Absatz gut war, baute er das Geschäft aus und gründete im vergangenen Jahr das Unternehmen, das sich als Marktführer sieht.

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Mit rund 250 Produkten sind sie noch breiter aufgestellt als die Buxtehuder und haben eine größere Auswahl an Möbeln für den Wohnbereich. „Die gefragtesten Möbelstücke sind unsere Couchtische und Regalkisten aus Obstkisten“, sagt Dennis Riggers von Vintage-Möbel24. „Von der geflammten Regalkiste verkaufen wir inzwischen 25.000 Stück im Monat. Viele Konkurrenten kopieren dieses Produkt.“ Sogar ein Zusammengehen der beiden Firmen war einmal im Gespräch. Aber jetzt geht doch jeder eigene Wege. „Wir wollen organisch wachsen“, sagt Maxin. Der Markt ist groß genug. „Das Internet hat den Vorteil, dass sich für jede Nische eine ausreichend große Kundenzahl findet“, sagt Maxin.

Doch woher kommen die vielen Obstkisten? In der Halle von Kistenkolli stapeln sie sich zwar noch bis unter die Decke. Aber die gesamte Nachfrage lässt sich damit nicht mehr abdecken. „Mehr als die Hälfte sind bereits neue Kisten“, sagt Rehder. Es sei nicht einfach gewesen, einen verlässlichen Produzenten zu finden, der Kisten nach unseren Vorstellungen fertigt. Doch jetzt sei das in Polen gelungen. „Das Unternehmen fertigt exklusiv für uns und verwendet nur FSC-zertifiziertes Holz“, sagt Rehder. Es kommt also aus nachhaltiger Forstwirtschaft.

Auch der Handel hat das neue Utensil entdeckt. Statt Pappdisplays, mit denen Waren besonders werbewirksam in Super- und Fachmärkten präsentiert werden, sind im Handel die Displays von Kistenkolli gefragt, die nach den Vorgaben der Händler gefertigt werden – um auf eine neue Biersorte aufmerksam zu machen oder Tiernahrung zu verkaufen. In Kisten lassen sich Waren eben gut präsentieren und stapeln. In diesem Segment erwarten die Jungunternehmer weiteres Wachstum, etwa bei Messeständen. Denn die bisherigen Pappdisplays haben nur zwei bis drei Monate gehalten, und Nachhaltigkeit gewinnt auch bei der Warenpräsentation immer größere Bedeutung.

Bestellt werden die Kistenmöbel eher von Frauen. Nicht nur bei jungen Leuten sind die preiswerten Möbel gefragt. „Die Altersspanne der Kunden reicht von 16 bis 55 Jahren“, sagt Maxin. „Wir verzeichnen beim Umsatz jährliche Steigerungsraten von 100 Prozent.“ Im Moment gibt es keine Anzeichen, dass der Trend mit den Kistenmöbeln abebbt.

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