Der einfache Paul: Über die Kochkunst des Weglassens - n-tv.de

2022-11-15 16:03:57 By : Mr. Michael Ma

So jung kommen wir nicht mehr zusammen!

(Foto: © Vivi D’Angelo/Brandstätter Verlag)

Kennen Sie die Küchen-Glücksformel? Nein, es ist nicht "Wein, Weib und Gesang". Stevan Paul hilft Ihnen auf die Sprünge bei der (Wieder)Entdeckung der eigenen Küche. Sein Credo: Weniger ist mehr. Und was bedeutet eigentlich "Ichi Go Ichi E"?

Ein gutes Naturprodukt ist Schlüssel und Basis jeder Küche. Davon ist Stevan Paul, einer der kreativsten Kochbuchautoren Deutschlands, überzeugt. Für richtig gutes Essen brauchen wir nämlich gar nicht viel: "Simple & Clever Cooking/Weniger ist mehr" bringt uns Pauls innovatives Konzept für einfaches und schlaues Kochen näher. Das Buch ist im Brandstätter Verlag erschienen und beinhaltet alles, was die junge Küche so braucht: Übersichten, Pläne, jede Menge gute Tipps und Ratschläge und jede Menge Rezepte sowieso. Ein wahrlich gewichtiges Werk!

Aber keine Angst vor dem dicken Buch – Kochschule war gestern, Anstiftung zum Kochen ist heute. Hier lernt man intuitiv kochen über Rezeptideen und Variationen, die die Vielseitigkeit der modernen Gemüseküche feiern: mit bunten Veggie-Bowls, Klassikern der Streetfood-Kultur, Pasta-Variationen, duftenden Reisgerichten und Lieblingsrezepten aus aller Welt. Auch die Darstellung und Aufteilung der Rezepte weicht vom Althergebrachten ab. Sie werden nicht starr in Zutaten und Zubereitung unterteilt, sondern es gibt immer ein einfaches (simple) Rezept, sozusagen die Basis, und dazu Ideen für Variationen (clever). Inklusive Zutaten und Zubereitungsanleitungen.

Nach Inhaltsverzeichnis und "Hey und hallo!", einem Vorwort, das so jugendlich-frisch wie das ganze Buch ist und alles umreißt, worum es hier geht, startet das Buch mit 10 supereinfachen Einstiegs-Ideen für 40 grandiose Gemüse-Kombis. "Die Mini- und Mikro-Rezeptideen sind schnell zubereitet, teils echt raffiniert und doch ganz einfach, super-variabel und auch frei kombinierbar. So geht schneller Genuss im Alltag", schreibt Stevan Paul.

Aus einer überschaubaren Zutatenmenge und einem würzigen Dressing entsteht ein knackiger Wintersalat.

(Foto: © Vivi D’Angelo/Brandstätter Verlag)

Das ist die Paulsche Küchen-Glücksformel: Gemüse + Salz + Idee. Einfacher geht’s wirklich nicht. Schon das Würzen mit Salz ist laut Paul ein Rezept: "Salz würzt, hebt den Eigengeschmack und macht Gemüse auch zarter und bekömmlicher. Das ist bereits: kochen!" Das lässt sich mit ein paar Ideen, angefangen bei gutem Olivenöl, kreativ ausbauen. Und der Mann muss es ja wissen: Stevan Paul ist gelernter Koch und Gründer eines der meistgelesenen Foodblogs im deutschsprachigen Raum. Er entwickelte hunderte Rezepte in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen; sie sind allesamt alltagstauglich und mit Zutaten, die überall zu bekommen sind.

Und so geht es weiter auf der Reise durch den "Kontinent Küche". Wie wird geschnippelt, wie – und vor allem wann – wird gesalzen, wie wird was wann zubereitet, wie macht man aus einem guten Gericht eine Attraktion?

Großes Kino mit einem gegrillten Käse-Sandwich und Zwiebelsalat à la "Kiss The Cook".

(Foto: © Vivi D’Angelo/Brandstätter Verlag)

Stevan Paul erklärt, dass Koch-Rezepte sich wie Beziehungs-Rezepte verhalten, bestenfalls entsteht eine spannungsreiche, lebendige Kombination, in der alle Beteiligten wachsen können. "Nicht anders verhält es sich mit den Geschmacksrichtungen beim Kochen. Nur sauer nervt, nur süß ist langweilig. Schärfe und Bitternoten sind allein oft eine Zumutung, im Zusammenspiel setzen sie pointiert Geschmacksspitzen und Kontraste." Damit das auch klappt mit dem geselligen Beisammensein oder dem Pärchen-Spiel öffnet Paul die Werkzeugkiste der Aromen – und liefert die Rezepte gleich mit für Gewürzpasten, Pesto und Öle, Butter-Varianten, Mayonnaisen, Vinaigrettes und Dressings und das ganze Gecrunche aus der Brösel- und Knusper-Werkstatt. Er fehlt natürlich auch nicht, der Paulsche Wunderteig für Burger Buns und Hot Dog Rolls, der im Netz schon eine Legende ist.

Wer schon immer hinter das Geheimnis der fünften Geschmacksrichtung neben süß, sauer, bitter und salzig kommen wollte, ist hier ebenfalls gut aufgehoben. Der Japaner Kikunae Ikeda entdeckte schon 1908 diese Geschmacksart und nannte sie "umami", so viel wie köstlich oder wohlschmeckend. Die Paulsche Gewürzpaste ("ein echter Zaubertrick") wird aus zumeist pflanzlichen Proteinen hergestellt und macht "teelöffelweise so ziemlich alles besser: Suppen, Eintöpfe, Ramen, Tomatensauce, gegartes Gemüse, Snackgemüse, Cracker ... genial auch einfach auf Brot!". Rezept auf Seite 63, inklusive Tipps, wie sich Pestos und Pasten für lange Zeit im Kühlschrank haltbar machen lassen.

Selbst Einladungen arten dank "Simple & Clever Cooking" nicht in Vorbereitungsstress aus, sondern man geht mit dem Kapitel "Kleiner Gastfreundschafts-Leitfaden und Checkliste" die Sache ganz entspannt an. "In Japan hat man für solche Zusammenkünfte einen beinahe schon philosophischen Spruch, den man vor dem ersten Zuprosten gemeinsam aufsagt: Ichi Go Ichi E! Das bedeutet ungefähr: Lasst uns aus diesem einmaligen Zusammentreffen, diesem einzigartigen Moment das Allerbeste machen! Oder schlichter: So jung kommen wir nicht mehr zusammen!"

Auch wenn einem partout nix einfällt, was es auf der nächsten Party zu futtern geben könnte, wird im Paul fündig: Hier gibt’s Vorschläge für Pizza-, Tacco- oder Antipasti-Pasta-Partys, dazu ein paar Ideen für einen fröhlichen Start in einen schönen Abend mit Freunden.

Wird schon mal für die nächste Grillparty vorgemerkt: "Pommes Anna Paul".

(Foto: © Vivi D’Angelo/Brandstätter Verlag)

Ich bin, wie ich bisher glaubte, altersmäßig weit entfernt davon, Ratschläge für die Organisation einer gut funktionierenden Küche zu brauchen. Wenn Sie nun glauben, ich verrate Ihnen jetzt mein Alter, haben Sie sich geschnitten. Nur so viel: Altersweisheit schützt vor Torheit nicht... Ich fühle mich jedenfalls ertappt vom Herrn Paul. Versteckt sich der Mann in meinem Gewürzregal? Blinzelt er hinter der Mehltüte hervor? Meine Vorratskammer und diverse Schränke scheint er schon inspiziert zu haben: "Es stapeln und drängen sich dort Tütchen, Gläser, Essenzen und Ideen. Vorratsschränke sind die Asservatenkammern unserer Küchen, stumme Zeugen vergangener Inspiration." Auch bei mir finden sich Beutelchen und Döschen, die ich seit Jahren nicht mehr angefasst habe. Über vieles, was da so herumsteht und -liegt, habe ich längst den Überblick verloren. Stevan Paul weiter: "Abgesehen davon, dass dieser Umstand von kulinarischer Intelligenz zeugt, ist die Chance gering, dass du ausgerechnet jetzt anfängst, damit zu kochen. Das gilt auch für die trendigen Tee-Mischungen ganz hinten im Schrank, die seit Jahren nur noch Motten anlocken." Das mit der "kulinarischen Intelligenz" versöhnt mich ja ein bisschen mit meiner unaufgeräumten Schlamperwirtschaft: Betrachte ich die Menge an Tütchen und Döschen, muss ich ein wahrer Küchen-Einstein sein! Halleluja! Oder doch lieber mehr Selbstkritik? Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit... Das neue Jahr dürfte etliche Dauerregen-Wochenenden bereithalten, um klar Schiff in Regalen und Schränken zu machen.

Den Lagerbestand reduziert Stevan Paul auf die Frage: "Was mag, brauche und verbrauche ich wirklich?" Sie werden staunen (so wie ich), wie wenig da als Antwort herauskommt. Paul liefert gleich noch ein paar Ideen fürs große Leerkochen dazu, wie aus Resten ein Neuanfang wird.

Zwischen all den Kapiteln von Glücksformel bis Leftover lockert Paul mit Notizen auf, gibt private Einblicke, teils lustig, teils berührend. Ansprechende Food-Fotos und die gesamte grafische Gestaltung vollenden die lebendige Kombination aller Buchbestandteile und machen "Simple & Clever Cooking" zu einem umfangreichen und dennoch kurzweiligen Küchen-Buch – viel mehr als nur ein Koch-Buch!

Der Grilled-Cheese-Sandwich ist inspiriert vom Feelgood-&-Foodtruck-Movie "Kiss The Cook – So schmeckt das Leben" (Originaltitel: Chef, USA 2014). Der Soundtrack macht mit fröhlichem Latin, Salsa, Hip-Hop, Funk und Reggae richtig gute Laune. Mit meinem frischen Zwiebelsalat wird das Film-Sandwich großes Kino!

80 g Comté, Cheddar- oder Gruyère-Käse 20 g junger Parmesan 4 Scheiben Sandwichtoast 2 TL Butter 1 TL Olivenöl

simple Ofen auf 80 Grad schalten, einen großen Teller hineinstellen.

Käse und Parmesan reiben und mischen, auf 2 Toastscheiben häufen. 1 TL Butter mit Olivenöl in einer Pfanne schmelzen. Die mit Käse belegten Toastscheiben (Käse nach oben) in die Pfanne geben und bei milder Hitze in 3–4 Minuten goldbraun rösten.

Die übrigen beiden Scheiben auflegen und andrücken. 1 TL Butter in die Pfanne geben, die Sandwiches im Ganzen wenden und bei milder Hitze 3–4 Minuten goldbraun rösten.

1 EL (Rotwein-)Essig 1 TL Ahornsirup oder Honig 2 EL Olivenöl Salz 1 kleine rote Zwiebel 1 Frühlingszwiebel 2 Zweige Petersilie 1–2 TL geriebener Meerrettich

Sandwiches aus der Pfanne nehmen und auf dem Teller im Ofen warmhalten.

Aus Rotweinessig, Ahornsirup oder Honig und Olivenöl eine Vinaigrette anrühren, salzen. Zwiebel pellen, halbieren und in Spalten schneiden.

Frühlingszwiebel in Ringe, Petersilie fein schneiden. Alles mit der Vinaigrette mischen, den Meerrettich untermengen.

clever - Toastscheiben vorab mit grobem Senf und/oder Ketchup nach Geschmack bestreichen. - Ein super Leftover-Essen, bei dem du übrige schmelzfähige Käse mischen kannst, Raclettekäse passt auch ganz wunderbar und sogar Camembert.

Das französische Originalrezept besteht lediglich aus hauchdünn aufgeschnittenen Kartoffeln, die in Butter geschichtet und leicht gesalzen im Ofen garen. Dabei entwickeln sie eine feine Kruste. Das ist toll, es braucht dafür aber Händchen am Herd. Ich finde ja meine saftige Version sowieso ganz unbescheiden einen Hauch besser.

550 ml kräftige, gesalzene Gemüsebrühe 2 EL Olivenöl 50 g Butter 1,5 kg vorwiegend festkochende Kartoffeln 80 g Parmesan am Stück 10 g weiche Butter

simple Brühe mit Olivenöl und Butter aufkochen. Die Kartoffeln schälen, geschälte Kartoffeln in kaltes Wasser legen. Parmesan reiben.

Eine Auflaufform mit weicher Butter ausstreichen. Die Kartoffeln in möglichst dünne Scheiben schneiden oder hobeln. Abwechselnd dachziegelartig überlappend Kartoffelscheiben einschichten, leicht mit Brühe beschöpfen und mit Parmesan bestreuen. Auf diese Weise verfahren, bis alles eingeschichtet ist.

Im heißen Ofen bei 180 Grad ca. 55 Minuten goldbraun garen. Vor dem Servieren noch 15 Minuten im ausgeschalteten und geöffneten Ofen setzen lassen.

Solo mit einem grünen Salat, zu einer Gemüsepfanne oder Spargel servieren. Oder als "Beilage" zur nächsten Grillparty!

clever - statt mit Parmesan klappt das auch gut mit Pecorino, Grana Padano oder Bergkäse - für ein Steinpilz-Kartoffelgratin 20 g getrocknete Steinpilze im Mixer zerkleinern und in die heiße Brühe geben

Das Dressing ist so würzig wie universell, dazu gesellen sich fruchtige Blutorange, Rote Bete, rauchiger Scamorza-Käse, Bittersalate und Haselnüsse.

simple Obst, Gemüse, Salat und Käse 2–3 Rote-Bete-Kugeln a.d. Glas vierteln, leicht salzen. Je 2–3 EL Mais und Bohnen a.d. Dose abspülen und abtropfen. Leicht salzen. 100 g Radicchio und Endiviensalat mundgerecht zupfen, waschen und trockenschleudern.

2 EL Haselnussblättchen in einer Pfanne ohne Fett rösten. ½ Scamorza-Käse in Scheiben schneiden. 2 Blutorangen wie einen Apfel schälen, so dass auch die weiße Haut entfernt wird. Filets mit einem Messer zwischen den Trennhäuten herauslösen.

Parmesan-Schmand-Dressing 150 g Schmand, 50 g Mayonnaise (S. 112), 4 EL Perlzwiebel- oder Gurkenwasser, 1 EL Senf und 1–2 TL (Weißwein-)Essig glattrühren. 20 g fein geriebenen Parmesan unterrühren. Leicht salzen.

Anrichten Alles in eine Bowl oder auf eine Salatplatte geben und mit dem Dressing beträufelt servieren.

clever - weiße Bohnen/Kichererbsen - Spinatsalat/Feldsalat/Römersalat - Walnüsse/Sonnenblumenkerne/Kürbiskerne - Feta/Mozzarella/Ofenkäse - Orange/Grapefruit/Mandarine

Viel Spaß beim Kochen und ein ebensolches Lesevergnügen wie ich es hatte – und natürlich Erfolg beim Aufräumen Ihrer Vorratskammer wünscht Ihnen Heidi Driesner.