NDR 1 Welle Nord

2022-11-15 16:04:49 By : Ms. Mercy Du

Jedes Jahr entsenden NABU und Nationalpark Wattenmeer einen Naturschutzwart auf die Sandbank Trischen, draußen vor der Meldorfer Bucht. In diesem Jahr ist das ein Kinderarzt aus Hamburg, für den die sieben Monate dort vor allem eines waren: Eine dringend benötigte Auszeit.

Ganz langsam drehen sich die beiden Reifen im weichen Sand. Die Karre, die Till Holsten hinter sich herzieht, ist seine Lebensversicherung: Drei Kanister Frischwasser transportiert er damit. Insgesamt gut 50 Liter. Damit muss er eine Woche lang auskommen, denn die nächste Versorgungslieferung kommt erst in einer Woche per Schiff. Alles, was er isst und trinkt, was er liest, was er benutzt - jeder Gegenstand wird von ihm mit der kleinen Karre zur Hütte gezogen. Gut zwanzig Minuten dauert das. Asphaltierte Wege? Fehlanzeige.

Auf Trischen (Kreis Dithmarschen) gibt es nur Sand. "Da vorne wird es besser", sagt der 35-Jährige. Denn Sand ist nicht gleich Sand. Dort, wo eben noch die Flut den Strand überspült hat, fühlt sich der Sand hart an. Danach ist es besonders weich. Auf der Westseite der Insel, der Wetterseite, ist der Sand fest. Hier lässt sich die Karre gut ziehen, die Reifen sinken nur wenig ein.

Till Holsten lebt seit Mitte März auf Trischen. Allein. Eine Hütte auf Stelzen über der Salzwiese ist noch bis Oktober sein Zuhause. Sie ist spartanisch eingerichtet - und doch hat er dort alles, was er zum Leben braucht. Bett, Schreibtisch, Küchenzeile mit Gasherd. Ein Gewürzregal. Wasserkanister. Bücher. Und jede Menge Berichte seiner Vorgänger, nach aufsteigenden Jahren sortiert. Hilfreich für ihn sind vor allem die jüngeren Berichte, sagt Till Holsten. Denn viele Fragen während seines Aufenthaltes auf Trischen hätten sich eben auch seine Vorgänger gestellt. Wie zählt man einen riesigen Möwenschwarm? Wie werden die Erstblühdaten erhoben? Antworten darauf liefern ihm die Berichte.

Sein Leben auf Trischen hat wenig mit dem zu tun, was er zu Hause in Hamburg erlebt. Dort hat er bis vor Kurzem noch als Kinderarzt an einem Krankenhaus gearbeitet. Hat sich auf Gehirntumore bei Kindern spezialisiert. Arbeitstage von 14 Stunden - die waren dort keine Seltenheit. Er erinnert sich an eine Schicht, in der sein Diensttelefon 58 Mal geklingelt habe - innerhalb von 60 Minuten, während er auf Visite war, also eigentlich ganz andere Dinge zu tun hatte. Ein Gesundheitssystem, das ihn beinahe krank gemacht hätte. Dabei liebt er die Arbeit als Arzt. Zeit für Freunde, Freizeit, Familie, wirklich vorhanden war das nicht. Deshalb seine Entscheidung: Stopp. Reißleine ziehen.

Bereits seit seiner Jugend begeistert er sich für die Themen der Natur und hat sich deshalb für eine Auszeit auf Trischen entschieden. Sieben Monate sieht er Familie und Freunde nun nicht. Trotzdem ist der Kontakt aktuell besser als noch während seiner Zeit im Klinikum: "Ich bin paradoxerweise jetzt verfügbarer", sagt er. Denn telefonisch ist er erreichbar. Hat Zeit für Gespräche. Trotzdem klingelt das Telefon deutlich seltener.

Seine Aufgabe ist, die Natur auf Trischen zu dokumentieren. Welche Vögel sind hier? Wie ist der Bruterfolg? Schaffen sie es, ihre Jungen groß zu ziehen? Das sind Fragen, die er beantwortet. Zusätzlich beschäftigt er sich - aus eigenem Interesse - mit den Insekten auf der Insel. Und dann muss er immer wieder auch Müll einsammeln, der angespült wird. An diesem Tag findet er ein leeres Glas Nuss-Nougat-Creme. Einen Lippenstift. Eine leere Getränkedose. Einen Plastikstuhl. "Und das hier finde ich besonders surreal", sagt er und zeigt auf einen Mülleimer. Das Symbol für die Abfallwirtschaft liegt im Sand, angespült auf der Naturschutzinsel.

Und immer wieder findet er Luftballon-Schnüre. Die zu finden oder zu hören, wie sie auf Hochzeiten und Geburtstagen in die Luft entlassen werden, das macht ihn wütend. Denn Vögel können nicht unterscheiden zwischen Algen, die sie aus dem Meer fischen und Plastik. Sie ersticken daran. Oder verhungern, weil der Magen voller Plastik ist und dadurch das Hungergefühl ausbleibt.

Tote Vögel beseitigt er nicht. Sie bleiben am Strand liegen, ebenso wie die Kadaver von Robben, die immer wieder mal angespült werden. Das gehöre zum Leben in einem Naturschutzgebiet dazu. Und meistens, so der Naturschutzwart, seien sie innerhalb weniger Stunden unter Sandverwehungen verschwunden.

Einen guten Monat wird Till Holsten noch auf Trischen verbringen. Morgens mit Sonnenaufgang aufstehen, die ersten Zählungen durchführen. Seinen Kaffee auf der Bank vor der Hütte trinken. Abends sitzt er auf der anderen Seite der Hütte, dann mit einem Glas Wein, und beobachtet das Naturspektakel vor der untergehenden Sonne. Etwas, das er sich bewahren möchte. Sich Zeit zu nehmen für die Dinge. Mit dem Schiff, das ihn aktuell mit Lebensmitteln versorgt, wird er Mitte Oktober die Insel wieder verlassen, und zurück nach Hamburg gehen. Vorerst.

Die Liebe zur Westküste wird bleiben. Was er genau machen wird, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, das weiß er noch nicht. Aber zurück in die Klinik - das kann er sich inzwischen nicht mehr vorstellen.

Auf Trischen lebt nur ein Mensch. Seit März ist das Till Holsten. Eigentlich Kinderarzt, ist er jetzt Naturschutzwart. mehr

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