Naturwein: Warum wir mehr davon trinken sollten und Wein aus dem Supermarkt mit Vorsicht genießen sollten | STERN.de

2022-11-15 16:49:11 By : Ms. Judy Liu

Wein ist laut EU-Gesetzgebung ein Genussmittel. Was romantisch klingt, birgt aber einige Gefahren: Da Wein nicht als Lebensmittel deklariert ist, muss auch nicht draufstehen, was in der Flasche drin ist. Es darf also ohne die Kennzeichnung von Zusatzstoffen und technischen Hilfsmitteln auskommen. Leider bleibt es beim herkömmlichen Massenwein selten beim vergorenen Traubensaft: Es wird gefiltert, geklärt und geschönt.

Anders beim Naturwein: Surk-ki Schrade schreibt in ihrem Buch "Natürlich Wein ", dass die Basis von Naturwein der Verzicht auf synthetische Mittel auf dem Weinberg sind. Ein Bio- oder biodynamischer Anbau ist mit oder ohne Zertifikat die erste Voraussetzung. Trauben werden per Hand gelesen, sie werden ohne Zusatz von Hefen spontanvergoren, also ohne Hilfsmittel. Es wird weder geschönt noch geklärt, weder be- noch entsäuert.

Zum Vergleich: Beim konventionellen Wein dürfen Trauben im Anbau mit synthetischen Mitteln gespritzt werden, die Lese, also das Pflücken der Weintrauben, erfolgt oft maschinell. Bei der Vergärung darf auf eine Vielzahl an Stoffen und Verfahren zugegriffen werden. In Winzerzubehör-Shops kann man aus verschiedenen Reinzuchthefen wählen, die dem Wein eine bestimmte Geschmacksrichtung geben sollen. Beispielsweise "exotische Fruchtnoten wie Maracuja, Pampelmuse" oder "komplexe aromatische Weißweine im Stil der neuen Welt". Nicht zu vergessen Vitamine, Hefenährstoffe, Hefe-Aktivatoren, Enzyme, Produkte für die Klärung und Schönung, zur Harmonisierung, Tannine, Holzchips in verschiedenen Geschmacksrichtungen, die etwa die Komplexität steigern sollen. All das ist erlaubt. Sie gelten als Hilfsmittel und werden zur Abfüllung mit weiteren Hilfsmitteln wieder entfernt. Nachweisbar sind sie dann nicht mehr im Wein.

Kennzeichnungspflichtig ist nur Schwefel ab einem Gehalt von zehn Milligramm, der konserviert den Wein und schützt ihn vor Oxidation. Außerdem muss man Hühnereiweiß und Milchprodukte kennzeichnen, wenn 25 Milligramm pro Liter nachweisbar sind. Das sind sie meist nicht. Was das Huhn und die Milchprodukte im Wein zu suchen haben? Tierische Produkte wie Hühnereiweiß oder auch Fischeiweiß werden zur Klärung eingesetzt und entfernen Trubstoffe. Zucker in Form von Rübensaft oder Traubensaft wird zugefügt, um höhere Alkoholwerte zu erzielen. Zitronensäure, um die Säure anzuheben. Mehr als 50 weitere Zusatzstoffe dürfen in den Wein hinein, ohne das diese deklariert werden müssen.

Als Verbraucher kann man zumindest nachvollziehen, welcher Wein "gemacht" ist oder vom Winzer kommt. Die Großkellerei ist gekennzeichnet als Abfüllerware, beim Winzer steht Erzeugerabfüllung sowie eine Adresse darauf. Bei der Kellereiware ist meist nur der Abfüller notiert und eine amtliche Prüfnummer, die seine Verkehrstauglichkeit attestiert. Wer partout Weine kaufen möchte, in denen keine Zusatzstoffe enthalten sind, bleibt nur die Möglichkeit, Inhaltsstoffe konzentrisch auszukreisen. Das gelingt, wenn man sich ansieht, worauf die verschiedenen Weinbauverbände verzichten. Von den Verbänden, zu denen Bioland, Ecocert oder Naturland zählen, ist der Demeter-Verband derjenige, mit den strengsten Auflagen. Ansonsten bleibt nur Wein direkt von der Winzerin oder dem Winzer zu kaufen und sich im Idealfall erklären lassen, wie der Wein gemacht wurde.

Der Knackpunkt beim Naturwein ist, dass während der Vergärung nichts hinzugefügt und nichts herausgenommen wird. Der Wein wird sich selbst überlassen. Der Traubensaft wird eingemaischt, also zerquetscht, oder direkt gepresst vergärt. Schwefel darf als einziger Zusatzstoff, wenn überhaupt, in geringen Mengen eingesetzt werden. Allerdings erst nach der Vergärung, wenn der Traubensaft zu Wein geworden ist. Häufiger gärt der Saft komplett durch, es bleibt kaum Restzucker über. Ergo: Der Wein ist trocken. Wer lieblichen Wein bevorzugt, sollte nicht zum Naturwein greifen.

Naturwein ist eine andere Machart, ein anderer Weinstil als herkömmliche Weine. Was nicht bedeutet, dass die Hilfsmittel und Zusatzstoffe in jedem Wein, der kein Naturwein ist, enthalten sind. Erfahren werden es die Verbraucherinnen und Verbraucher aber nicht. Für Naturwein gilt: Sich durchzuprobieren und seinen eigenen Geschmack herauszufinden. Unsere Favoriten sind die fruchtigen und peppigen Naturweine "Glow Glow" von Pauline und Carl Baumberger, die erst seit 2019 Naturwein machen und das Weingut ihrer Eltern umkrempeln. Oder aber die filigranen und eleganten Weine von Bianca und Daniel Schmitt, die biodynamisch arbeiten und Naturwein auf ungeahnten Höhen ausbauen. 

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